Neulich geschah mir etwas Alltägliches, das mich zu einer tieferen Erkenntnis führte. Ich hatte mir eine Suppe zubereitet – ich liebe Suppen – und meine Assistenz legte mir statt eines Löffels eine Gabel hin. Etwas kopflos, könnte man sagen. Als ich das Bild sah, musste ich schmunzeln, denn plötzlich wurde mir klar: Genau so ist das Leben im Moment bei sehr vielen Menschen: Sie versuchen die Suppe mit einer Gabel zu essen und wundern sich, warum sie Hunger haben.
Die Fülle der Möglichkeiten - theoretisch:
Gerade bei uns im Westen hat das Leben unglaublich viel zu bieten. Es ist alles da, die Möglichkeiten sind endlos, alle haben Zugang zum Internet und zur Bildung. Heute braucht man Bildung nicht einmal mehr im klassischen Sinne – im Grunde genommen reichen YouTube und Bücher aus (und natürlich diesen Text auf Substack :-)). Natürlich muss man die Fähigkeit haben, Dinge zu verknüpfen, das stimmt. Aber wenn du das hier liest, kannst du das.
Und dennoch sitzen wir vor diesen zahlreichen Möglichkeiten, könnten uns theoretisch an allem bedienen – und können einfach doch nicht! Es gibt eine innere Schranke, die sagt: „Das geht nicht. Andere vielleicht, aber du nicht.“
Als würde das Gehirn einen Powernap brauchen, wir sind plötzlich nicht mehr in der Lage pragmatische, lebensfördernde Lösungen für uns selbst zu finden.
Die Suppe als Metapher:
Stell dir vor: Wir sitzen vor einer großen Schüssel Suppe. Sie riecht gut, ist perfekt gewürzt, heiß und bereit zum Verzehr. Wir könnten satt werden, es ist genug da. Aber wir haben nur eine Gabel. Es funktioniert nicht. Die Suppe läuft immer wieder durch die Zinken. Wir setzen an, probieren es immer wieder – es klappt nicht. Und so sitzen wir vor dieser Suppe und stechen hilflos hinein.
Wir versuchen diese Suppe zu manipulieren oder zu hypnotisieren, damit sie endlich irgendwie in uns hineinkommt. Wir beten, manifestieren, sprechen mit der Suppe, mit den Ahnen des gekochten Gemüse, mit dem Geist des Porzellans, mit allem Möglichen. Aber die Suppe wird einfach nur kalt. Und der Hunger wird immer größer. Die Ohnmacht macht sich breit und das Gefühl: „Die Suppe hat was gegen mich, sie will einfach nicht von mir gegessen werden!“
Der pragmatische Weg zur Fülle:
Ein paar Tische weiter sitzt jemand und macht etwas völlig Freches: Diese Person hebt einfach die Schüssel und trinkt daraus. Sie verzichtet vollständig auf jegliches Besteck. Sie verzichtet selbst auf den Löffel, weil die Portion, die mit dem Löffel in den Mund gelangt, zu klein ist und zu lange dauert. Sie setzt die Schüssel an den Mund und trinkt und trinkt und trinkt. Anschließend wischt sie sich den Mund ab und grinst selbstgefällig in die Runde.
„Schmeckt gut! Iss mal.“, sagt sie zu dem Sitznachbarn.
„Ja, wie denn?!“, er hebt vorwurfsvoll die Gabel in die Luft. „So bin ich ja bis zu meiner Beerdigung beschäftigt!“
Während alle anderen versuchen, die Suppe zu „verstehen“ – mit verschiedenen Techniken, Gesprächen über die Suppe, irgendwelchen Büchern oder Methoden, wie man Suppe elegant mit einer Gabel essen könnte – sitzt da jemand und sagt:
„Ich scheiße auf alles. Ich brauche weder Gabel noch Löffel. Ich nehme die Abkürzung!“
Diese Person geht den geraden Weg, den pragmatischen Weg. Den Weg des schnellen Sattwerdens – und bedient sich an dem, was da ist. So wie es die Natur vorgesehen hat: Leben ohne allzu viel Gedöns.
Ich spreche nicht davon, die Suppe von fremden Tellern zu stehlen. Es geht nicht darum, etwas zu kreieren, was nicht vor dir als reelle Möglichkeit steht, oder von einer anderen Suppe zu träumen als der, die heute gekocht wurde mit dem Gemüse, das in der Saison verfügbar ist.
Ich möchte dich erinnern: Bediene dich an dem, was da ist. Bediene dich schamfrei an dem, was vor dir steht. Kompromisslos und völlig selbstbewusst. Damit du endlich satt wirst.
Der Mut lebensbejahende Entscheidungen zu treffen:
Ich weiß, dass unser Kopf oft berechtigt ist, Dinge zu hinterfragen und zu analysieren – und erstmal überhaupt mit der Suppe in Kontakt zu kommen. Was ist das überhaupt? Wie funktioniert das hier?
Und es ist okay hin und wieder gar keine Lust auf die Suppe zu haben, von einem anderen Gericht zu träumen.
Aber wenn du Hunger hast, wenn du Leben wirklich in Gänze erfahren willst: Es ist alles da. Es ist von allem genug. Du kannst dir auch noch Nachschlag holen.
Bediene dich am Leben – und wirf jedes Besteck einfach weg.
Herrlich bildhaft. Danke!